Die meisten Paare beginnen eine Paartherapie oder -beratung, weil sie „Probleme“ miteinander haben, meist unlösbare Konflikte: „Wir streiten nur noch, auch um die kleinsten Kleinigkeiten, aber es kommt nichts dabei raus!“
Andererseits gibt es auch Paare, die gar keine Konflikte haben – jedenfalls keine offensichtlichen – und für die das zum Problem wird: „Wir haben uns nichts zu sagen, obwohl wir uns eigentlich gut verstehen und nie streiten!“
Oft taucht dann die Frage auf: Lieben wir uns noch? Bei all den Schwierigkeiten – kann das noch Liebe sein?
„Liebe“ ist nun ein schillernder Begriff, eine allgemein gültige Definition existiert nicht wirklich, obwohl es 2 Milliarden Google-Einträge zu dem Wort „love“ und 100 Millionen zu „Liebe“ gibt und das Wort immer inflationärer benutzt wird. Schon in der Antike wurde mit Unterteilungen gearbeitet: Eros, die leidenschaftliche Liebe, Philia, eine freundschaftliche Variante und Agape, bei der die Fürsorge im Vordergrund steht. Diese Einteilung ist auch aktuell immer noch interessant – die meisten Paare kennen die verschiedenen Varianten.
Dazu eine kleine Übung zum Anwärmen:
Zeichnen Sie einen Kreis und teilen ihn in drei „Tortenstücke“ auf, deren Größe sich nach dem Anteil richtet, den die verschiedenen Liebesarten in Ihrer Paarbeziehung spielen. Sind Sie mit dieser Verteilung zufrieden? Wenn nicht, welches Stück müsste größer oder kleiner sein?
Bitten Sie Ihren Partner/Ihre Partnerin, ebenfalls einen Kreis zu zeichnen und einzuteilen. Wo gibt es Unterschiede? Kommen Sie darüber ins Gespräch!
Liebe gilt laut vieler Befragungen nach wie vor als das wichtigste Kriterium für ein glückliches Leben und eine gelingende Partnerschaft. Was wir genau darunter verstehen, bleibt aber oft unklar. Dazu einige Anregungen von unserer Seite! Nach unserer Auffassung ist Liebe gar kein Gefühl, jedenfalls nicht in dem Sinne wie Freude, Trauer, Schmerz.
Viele Paare empfinden das aber so:
„Bis vor kurzem habe ich meine Frau geliebt, seit ich Elvira kenne, fühle ich nichts mehr für sie.“ „Aber ich liebe Dich doch, das ist ein ganz starkes Gefühl, das musst Du doch auch fühlen!“ Oder: „Ich kann nichts dafür, ich will das gar nicht, aber ich liebe meinen Yoga-Lehrer eben mehr als meinen Mann.“
Wir glauben, dass Liebe zwar viele Gefühle und Empfindungen hervorruft, z.B. Freude, Lust, Schmerz usw., selbst aber etwas Anderes beschreibt als nur ein Gefühl. Wir nennen Liebe das, was zwei oder mehr Einzelwesen verbindet: Ich lasse mich von dem Anderen berühren und berühre ihn, ich erlebe und erzeuge Resonanz. Liebe ist wie ein Container, ein Raum, in dem alle Gefühle (auch gegensätzliche!) sein dürfen und gehalten werden. Deshalb kann ich auch jemanden lieben, auf den ich wütend bin und dessen Nähe ich jetzt gerade gar nicht schätze. Das klingt vielleicht ein bisschen wie Haarspalterei, hat aber durchaus Konsequenzen. Nicht „Ich habe ein Gefühl (= Liebe) oder eben nicht“, sondern zwischen den Liebespartnern spielt sich wechselseitig etwas Spannendes ab. Sich dieser Spannung auszusetzen, ist manchmal ein Risiko und verursacht Unsicherheit, denn es bedeutet ständige Veränderung und Herausforderung.
Außerdem verabschieden wir uns von dem gängigen Liebes-Modell „Beziehung ist dazu da, endlich meine Bedürfnisse zu erfüllen und mir das zu verschaffen, was ich nicht habe“. Eine mögliche Quelle für diese Auffassung findet sich schon in der Geschichte vom „Kugelmenschen“, der als Strafe der Götter in zwei Hälften geteilt immer auf der Suche nach dem fehlenden Teil ist. Auch die traditionelle Bezeichnung „meine bessere Hälfte“ für den Partner/die Partnerin geht in diese Richtung. Konsequenz: „Ich liebe Dich, aber nur wenn Du mir das gibst, was mir fehlt bist, denn dann muss ich mich nicht selbst darum kümmern.“ Wird dieser Anspruch auf Bedürfniserfüllung nicht ausreichend beantwortet, ist das die Quelle vieler Enttäuschungen und Kämpfe und führt letztlich zum Liebes-Aus.
Liebe ist nicht so unwillkürlich, wie sie oft erscheint. Wer lieben will, kann sich dazu entschließen und sogar etwas dafür tun. Auf Dauer reicht es nicht, sich der Liebe einfach hinzugeben, man muss sich auf sie einlassen und sie bewusst pflegen. Gefühle dagegen kommen und gehen, sie hängen davon ab, wie ich etwas gerade subjektiv bewerte. Liebe ist umfassender und dauerhafter, „in guten und in schlechten Tagen“. Oder ich muss mich fragen, ob es sich wirklich um Liebe handelt, wenn ich nur froh und glücklich bin, wenn der Partner gerade mal meinen Bedürfnissen und Erwartungen entspricht. Liebe bleibt immer ein Such- und kein Finde-Prozess, das macht sie so unerschöpflich.
Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Sehr oft kommen Paare mit der Frage zu uns in die Paartherapie, ob es nach schweren Krisen überhaupt Sinn macht, die Beziehung fortzusetzen und ob die Liebe noch eine Chance hat. „Mein Mann hat seit zwei Jahren eine Geliebte. Ich bin so verletzt, ich liebe meinen Mann nicht mehr, da ist nichts mehr zu machen, obwohl ich eigentlich möchte. Kann sich daran noch was ändern?“ Natürlich kann es das! Es geht um den Entschluss, das Herz wieder zu öffnen, die Verbindung wiederherzustellen. Das ist keineswegs leicht und bedarf evtl. der Unterstützung, bei unserer Betrachtungsweise ist das aber immerhin möglich.
Aus dem bisher Beschriebenen ergibt sich auch, dass eine Liebesbeziehung immer konfliktreich verläuft, ja, verlaufen muss! Insofern ist der häufige Auftrag von Paaren an uns als Paartherapeuten: „Wir haben einen Konflikt, machen Sie den weg“ unlösbar. Eine Ausnahme von dieser Regel macht höchstens der Zustand von Verliebtheit, bei dem alles Gegensätzliche negiert oder idealisiert wird. Dieser Zustand ist aber nicht von Dauer und kann es auch nicht sein, denn die Paarbeziehung enthält immer ein Paradox. Sie besteht aus der Verbindung zweier gegensätzlicher Pole, die doch aufeinander angewiesen sind: Ich existiere als ein Individuum, das Verbindung zum Überleben braucht, in der Verbindung aber eine Möglichkeit finden muss, ein Individuum zu bleiben.
Gut, wenn Paare verstehen, dass Ambivalenz und Unterschiedlichkeit vielleicht lästig, aber auch unverzichtbar sind als Motor für Bewegung, letztlich für Lebendigkeit und Liebe. Sie sind keine Defizite, müssen also nicht weg, sonst würde die Beziehung in stickiger Langeweile landen. (Mammi und Pappi auf dem Sofa: Ist doch schön so, nicht? Und wehe nicht!) Sie führen aber auch zu Konflikten, die erst mal ausgehalten werden müssen. Um damit umzugehen, brauchen Paare ein stabiles Nervenkostüm und viel Übung. Es lohnt sich aber!
von Anna Finne-Teschke